Kinder bestrafen?

 

Im Grunde ist dies ein weiterer Aspekt von denen, die ich in dem Aufsatz über „ungezogene Kinder“ angesprochen habe. Die Frage hier lautet: Soll/muss man Kinder bestrafen?

Ein eindeutiges Nein! gibt es hier wahrscheinlich nicht, ein eindeutiges Ja! aber mit Sicherheit nicht. Zuerst muss nämlich definiert werden, was „Strafe“ eigentlich sein soll. Dann stellt sich natürlich die Frage nach dem Alter des Kindes.

Fangen wir mal mit Letzterem an. Ein Kleinkind bis 3 Jahre (wenn es denn gelernt hat, sich selbst fortzubewegen) wird mit seinem Drang, seine Umgebung zu erforschen, mit Sicherheit alles Mögliche „anstellen“. Beispielsweise werden Bücher o. ä. aus Regalen in Reichweite des Kindes ausgeräumt. Oder eine Blumenvase auf dem Tisch fällt um, oder… Natürlich werden Mutter/Vater sofort zur Stelle sein und das Kind womöglich anfahren ob seiner Ungeschicklichkeit. Aber muss ein solches Verhalten bestraft werden?

Nein, nein und nochmals nein! Wer ein Kind in diesem Alter hier bestraft, macht sich zumindest des fahrlässigen Kindesmissbrauchs schuldig. Bestraft gehören höchstens Vater/Mutter, und zwar wegen Dummheit: Wer nicht weiß, dass solche Forschungen für die Entwicklung des Kindes unabdingbar sind, hat es nicht besser verdient!

Aber soll man dem Kind denn alles durchgehen lassen?

Nein, nein und nochmals nein! Das wäre AUCH fahrlässiger Kindesmissbrauch! Zu den Büchern: Warum bewahrt man sie in Reichweite des Kindes auf? Hat das Regal nicht weiter oben auch noch Fächer? Ich selbst habe, als meine Kinder in diesem Alter waren, in ein solches Regal alle möglichen Dinge gestellt – in der Hoffnung, dass mein Kind diese Dinge herausfetzt – das war nämlich ein Heidenspaß für mich und das Kind! Hinterher habe ich dann meinen Kleinen gezeigt und erklärt, dass man das irgendwie wieder wegräumen muss. Kaum hatte ich mit liebevoll-sachlichen Erklärungen damit angefangen, war das Kind Feuer und Flamme, mir dabei zu helfen.

Oder die Blumenvase – gibt es keinen Ort, der für ein Kleinkind unerreichbar ist?

Dann wird das Kind älter, und alle möglichen Versuchungen stürmen auf es ein. Da sind zum Beispiel die Kirschen am Baum im Garten des Nachbarn. Ein Ast hängt zum eigenen Garten so weit herunter, dass der/die Kleine mühelos heran kommt, vielleicht wenn es sich auf einen Gartenstuhl stellt. Die Eltern sagen, dass diese Kirschen tabu sind – sie gehören dem Nachbarn, und Stehlen macht man nicht!

Nun wird kaum ein Kind zwischen 6 und 10 Jahren dem Drang widerstehen können, sich zur entsprechenden Jahreszeit die herrlich roten Kirschen zu stibitzen. In einem unbeobachteten Moment… aber da kommt natürlich Mutter/Vater und ertappt es in flagranti.

Was jetzt? Bestrafen oder nicht? Immerhin hat das Kind ein eindeutiges Verbot übertreten, das es auch verstanden hat.

Soll man das Kind am Abend danach, wenn es schon im Bett liegt, wild an den Armen herauszerren, in rasender Wut anschreien und mit dem Rohrstock traktieren, dass man noch Tage später die Striemen sieht? So, wie es dem Autor dieser Zeilen als Kind in jenem Alter passiert ist?

Oder soll man das Kind gleich danach auf den Schoß nehmen und ihm sehr ernst, aber sachlich und möglichst trotzdem liebevoll erklären, dass Stehlen etwas Schlechtes ist? Womöglich mit dem Zusatz: „Sieh mal, Herr Sowieso ist doch immer so nett. Frag ihn doch! Wenn er ja sagt, darfst du natürlich!“

Oder aber: „Du weißt, wie unfreundlich Herr XYZ immer ist. Mach uns nicht noch mehr Ärger mit ihm! Schau mal, ich habe doch vorhin selbst Kirschen gekauft! Nimm dir davon doch ein paar!“

Wird dieses Kind noch einmal Kirschen vom Nachbarn pflücken? Dreimal darf geraten werden!

Wenn das Kind noch älter wird und an die Grenze der Pubertät kommt, gibt es eine Verhaltensweise, bei der ich doch für eine kleine, gewaltlose, aber für das Kind spürbare Strafe plädieren möchte. Wenn es nämlich absichtlich etwas tut, obwohl es genau weiß, dass es einem anderen weh tut oder ihm schadet; und vor allem dann, wenn es das zweite Mal vorkommt.

Wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Eltern stimmt, reicht fast immer schon die Frage: „Warum hast du das getan? Findest du es schön, dass ABC jetzt weint?“

Auch die Bürstenaffäre gehört in diese Kategorie. Sehen, wie ein Kind sieht – das wieder zu erlernen scheint mir eine vordringliche Aufgabe von uns Erwachsenen. Wir selbst haben doch die Welt auch mal mit den Augen des kleinen Kindes gesehen! Wir alle! Kann man daran nicht anknüpfen?

 

© Chris Frey

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