Zeit

 

Was haben sich Philosophen, Wissenschaftler, Möchtegern-Propheten und viele andere schon über den Begriff Zeit den Kopf zerbrochen. Und hier soll schon wieder was dazu kommen?

Nun ja, die Überschrift hätte besser lauten können „keine Zeit“ – und hätte damit den physikalischen Sachverhalt viel besser getroffen: In der Physik gibt es den Begriff Zeit in dieser Form nämlich nicht. Zeit ist etwas vom Menschen geschaffenes Abstraktes, eine Metapher, ohne die zu leben uns zumindest in unserer Wertegemeinschaft unmöglich erscheint.

Dennoch, mit ein paar Umwegen kann man sich auch anschaulich dieser Tatsache nähern. Ein Apfelbaum blüht im Frühjahr und trägt im Herbst – so der Liebe Gott will und keinen Hagel schickt – Früchte. Aber welche Rolle spielt es, in welchem Jahr dieser Apfelbaum sich so verhält? Haben sich Apfelbäume nicht immer so verhalten, seit es sie gibt?

Haben Apfelbäume Zeit?

Was ist eigentlich „keine-Zeit-haben“? Dazu möchte ich etwas ausholen.

Physikalisch ist der Begriff Zeit also unsinnig, aber sehr wohl gibt es natürlich Zeitspannen. Eine solche Zeitspanne wäre natürlich diejenige des Apfelbaums von der Blüte bis zur Fruchtreife. Oder was auch immer. Jeder definiert sich seine eigene Zeitspanne.

Die gängigste dieser Zeitspannen ist natürlich die von morgens bis abends (wobei jetzt mal außer Acht gelassen werden soll, dass jeder unterschiedlich definiert, was „morgens“ und „abends“ eigentlich ist). Innerhalb dieser Zeitspanne gehen wir unseren Tätigkeiten nach, zu denen wir entweder verpflichtet sind, oder die wir uns freiwillig vornehmen. Und da kommen wir der Sache allmählich näher.

Natürlich wird die Sache umso prekärer, je mehr Tätigkeiten wir innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ausführen müssen oder können. Und hier unterstelle ich mal meinen Zeitgenossen, dass sie sich einfach zu viele dieser Tätigkeiten innerhalb einer Zeitspanne vornehmen. Damit lässt sich unsere Frage beantworten: „Keine-Zeit-haben“ bedeutet, dass wir zu viele Tätigkeiten in eine zu kurze Zeitspanne legen!

Es liegt also ausschließlich an uns selbst, ob wir „keine Zeit haben“ oder nicht. Nur scheint es mir so, als ob uns Internet und Co. mit seinen Abläufen in Bruchteilen von Sekunden einfach vergessen lässt, wie schön es ist, auch mal Zeit zu haben – oder sie sich zu nehmen, ein Ansinnen, das für manch einen schon zu einem Affront geworden ist.

 

Übrigens können uns, wie bei so vielen Dingen, auch hier kleine Kinder beibringen, wie man mit Zeit umgehen kann – wenn wir denn lernfähig sind. Man beobachte mal ein Kleinkind im Sandkasten, das hingebungsvoll mit seinen Buddelförmchen hantiert. Für dieses Kind existiert in diesem Moment kein Raum und keine Zeit – es ist zeitlos glücklich, eins mit dem Universum, in dem es auch keine Zeit gibt. (Allerdings gibt es im Universum natürlich auch Zeitspannen – die sogar in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit [relativ zu was?] auch noch unterschiedlich schnell vergehen).

 

Wäre das Anstreben dieses Zustands nicht schon wie ein Sprung ins Paradies? Warum scheint uns Erwachsenen dieses eigentlich nicht möglich zu sein?

 

© Chris Frey